An der Universität Bielefeld (eine deutsche Universität mit ca.16 000
Studierenden) ist an der Fakultät für Linguistik und
Literaturwissenschaft seit wenigen Jahren der Bereich
Texttechnologie in der universitären Lehre vertreten. Die
Studienmöglichkeiten dieses Faches, die in dieser Form einzigartig
sind, sollen auf einem bilingualen Poster (Englisch und Deutsch)
erstmals auf einer wissenschaftlichen Tagung vorgestellt werden. Wir
sind davon überzeugt, dass unsere Erfahrungen für die Fachkolleginnen
und Kollegen an anderen Instituten sehr interessant sind, da es sich
um eine innovative curriculare Umsetzung von Inhalten aus dem Bereich
Humanities Computing handelt.
Die Texttechnologie an der Universität Bielefeld beschäftigt sich
unter anderem mit Eigenschaften von Texten sowie der Modellierung und
der Strukturierung textueller Information. Institutionell ist die
Texttechnologie dem Arbeitsbereich Computerlinguistik und damit mittelbar dem Fach
Linguistik zugeordnet. In der Forschung ist die Texttechnologie seit der Mitte der
1990er Jahre an der Universität Bielefeld vertreten. Zum Wintersemester
1999/2000 begann die Etablierung der Texttechnologie in der Lehre,
und zwar in Form eines Magisternebenfachstudiengangs. Dies bedeutete, dass
Texttechnologie mit einem geisteswissenschaftlichen Hauptfach und
einem weiteren Nebenfach verbunden werden musste. Ein vollständiges
Magisterstudium dauert in der Regel 9-10 Semester. Vor ca. zwei
Jahren wurden u.a. auf Grund von Internationalisierungsbestrebungen
die Magisterstudiengänge in Bielefeld
abgeschafft und die Studienmöglichkeiten auf Bachelor- und
Masterstudiengänge umgestellt. Dies ist Teil einer generellen
Entwicklung in Europa, die 1999
in der Bologna Deklaration von 29 europäischen Ländern fest
vereinbart worden ist. Im Zuge dieses Prozesses sollen bis 2010 alle
Hochschulstudiengänge auf Bachelor und Master umgestellt worden sein.
Texttechnologie kann seit dem Wintersemester 2002/2003 als eigenes
B.A. Nebenfach studiert werden. Dieses Nebenfach kann mit
unterschiedlichen B.A.-Kernfächern, z.B. Germanistik, Anglistik,
Geschichte, Sozialwissenschaften oder Philosophie kombiniert
werden. Die Lehrinhalte des Nebenfachstudiengangs sind modular
organisiert.
Nachfolgend sollen diese Module kurz beschrieben werden.
Computerpropädeutikum (3 Leistungspunkte)
Einführung in die Texttechnologie (4 Leistungspunkte)
Textstruktur und Textsatz (4 Leistungspunkte)
Hypertext (4 Leistungspunkte)
Im ersten Studiensemester findet ein Computerpropädeutikum
statt, das grundlegende praktische Kenntnisse im Umgang mit
Computern vermittelt und dabei auf die Verarbeitung von Textdaten
ausgerichtet ist (Betriebs- und Dateisystem, Texteditoren, reguläre
Ausdrücke). In der Veranstaltung Einführung
in die Texttechnologie werden die Eigenschaften elektronischer Texte und
die Methoden ihrer Erstellung behandelt. Der Begriff des
elektronischen Dokuments, die Trennung von Struktur und Layout, die
Zeichencodierung sowie Typographie werden ebenfalls
angesprochen. Diese Thematiken werden in der zweistündigen
Veranstaltung Textstruktur und Textsatz weiter vertieft. Das Seminar
Hypertext behandelt u.a. Grundlagen dieser Textsorte (von den verschiedenen
Begriffsdefinitionen und bis zur Geschichte),
konkrete, d. h. praktisch angewendete, Hypertextsysteme und
textlinguistische Themen wie z.B. Kohärenz in Hypertexten.
Formale Methoden I, II, III (je 3 Leistungspunkte)
Methoden aus der Mathematik, der Informatik und der Logik werden in
drei teilweise aufeinander aufbauenden Seminaren besprochen. Zu den
Methoden zählen die Mengentheorie als Sprache zur Formulierung von
Strukturen, der Umgang mit der Hierarchie der formalen Sprachen und
deren Grammatiken (der Chomsky-Hierarchie) und die Verwendung formaler
Automaten. Des Weiteren wird in die Aussagen- und Prädikatenlogik
eingeführt. Darüber hinaus werden Attribut-Wert-Strukturen
und deren Relationen vorgestellt und deren Operationen
(vor allem die Unifikationsoperation) eingeübt.
Einführung in die Programmierung (12 Leistungspunkte)
Am Beispiel einer konkreten, jeweils aktuellen und für das Humanities
Computing relevanten Programmiersprache wird sich in diesem Modul mit
den grundlegenden, allgemeinen Prinzipen der Programmierung
auseinandergesetzt. Die Vermittlung der
programmiersprachlichen Paradigmen steht neben dem Erlernen einer
konkreten Programmiersprache (z.B. Java, Perl, PHP oder Prolog) im
Zentrum des Moduls. Anwendungsschwerpunkt der Beispiele und der
Übungen bildet die Verarbeitung (z.T. strukturiert annotierter)
Textdaten. Eine sehr umfangreiche Programmieraufgabe muss
nach Abschluss des Seminars von Studierenden in kleinen
Gruppen gelöst werden.
Auszeichnungssprachen (4 Leistungspunkte)
Informationsstrukturierung (8 Leistungspunkte)
Die Auszeichnungssprachen (engl. Markup Languages) zählen zu den
grundlegenden Standards der Texttechnologie. In dem Seminar
Auszeichnungssprachen wird XML, aber auch SGML, besprochen, wobei
die Themen maschinelle Verarbeitung von ausgezeichneten
Dokumenten, Schemasprachen, Parser, Transformation und Formatierung
von besonderer Relevanz sind.
In dem Seminar Informationsstrukturierung werden die dann bekannten
Auszeichnungssprachen verwendet, um Informationen, die aus sehr
unterschiedlichen Domänen stammen, zu strukturieren. Hierbei wird den
Studierenden die Möglichkeit geboten, die Inhalte ihres Kernfachs
(bei nahezu allen Studierenden ist dies eine Geisteswissenschaft) als
allgemeine Information aufzufassen und zum Gegenstand ihrer
Informationsmodellierung werden zu lassen. Die Richtlinien
der Text Encoding Initiative werden in diesem Zusammenhang genauer
angesehen. In dem Seminar werden
Kleingruppen gebildet, die — kollektiv — bestimmte
Informationsmodellierungsaufgaben lösen und der gesamten Gruppe
präsentieren.
Neben den bisher genannten Modulen, die alle studiert werden müssen,
ist von den Studierenden noch eines von drei weiteren Modulen zu
wählen. Sie können sich entscheiden, ob sie für ca. 3
Semester Sprachkurse (insbesondere Sprachen mit nicht-lateinischen
Schriftsystemen, wie Japanisch oder Arabisch) besuchen möchten, ob sie
sich mit Empirischen Methoden (u.a. Statistik) oder mit den
linguistischen Beschreibungsebenen (z.B. Semantik und Syntax) intensiv
beschäftigen möchten.
Die Mehrzahl der Seminare enthält sehr praxisnah
ausgerichtete Lehrkomponenten. An der Fakultät für Linguistik und
Literaturwissenschaft ist in engem Zusammenhang mit dem Aufbau des
Studiengangs eine Infrastruktur errichtet worden, die eine derartige
praxisnahe Ausbildung ermöglicht. So stehen zwei
Multimediaseminarräume (mit 40 und mit 80
Arbeitsplätzen an 20 bzw. 40 Rechnern, einem didaktischen Netz, einem
Intranet und selbstverständlich mit Internetanbindung),
Rechnerarbeitsplätze für das
Selbststudium, sowie Arbeitsplätze im Hochschulrechenzentrum zur
Verfügung. Erst durch diese Infrastruktur wurde es möglich, die Praxisnähe
auch bei der derzeitigen durchschnittlichen Seminargröße
von 60 bis 80 Personen sicherzustellen.
Neben dem B.A.-Nebenfachstudiengang ist es auch möglich,
Texttechnologie als so genanntes Profil im B.A. Studiengang Linguistik
zu studieren. Darüber hinaus wird an der Universität Bielefeld der
M.A.-Studiengang "Interdisziplinäre Medienwissenschaft" angeboten, der
fakultätsübergreifend verankert ist. Dieser modular organisierte
Masterstudiengang, der auch texttechnologisches Modul
beinhaltet, stellt eine von mehreren weiterführenden
Studienmöglichkeiten dar, die von den Absolventen des
Texttechnologiebachelorstudiengangs gewählt werden können. Es ist
natürlich auch möglich nach dem B.A.-Abschluss einen Beruf zu
ergreifen. Da sich insbesondere auch die klassischen Berufsfelder für
Geisteswissenschaftler/innen (z. B. in den Verlagen oder im Bereich
Journalismus) durch den massiven Einzug der Informationstechnologie in
den vergangenen Jahren sehr stark verändert haben, sind die
Absolventen der Texttechnologie auch für diese (bei den Studierenden
der Geisteswissenschaften besonders beliebten Berufe) sehr gut
vorbereitet. Es existieren zwar bisher keine Verbleibestatistiken der
Studierenden, erste Erfahrungen zeigen aber, dass das Nebenfach
Texttechnologie den Studierenden tatsächlich das berufsrelevante
Wissen vermittelt, das sich viele Firmen von Absolventen
geisteswissenschafter Studiengänge wünschen.